Weser-Kurier 19.06.2005

Der Neoliberalismus ist auch in Bremen längst angekommen

BREMEN. Unter dem Motto "Eine andere Welt ist möglich. Ein anderes Bremen auch" hat am Freitagabend das erste Bremer Sozialforum im Lagerhaus Schildstraße begonnen. Über 60 Organisationen wie Amnesty International, ver.di und Attac unterstützen das Forum, deren Teilnehmer noch bis heute Nachmittag über Alternativen zur neoliberalen Globalisierung debattieren. "Der Neoliberalismus ist auch in Bremen längst angekommen", sagte Professor Wolfram Elsner von der Bremer Uni bei einer Diskussion, die sich der Frage widmete, wie viel Markt Demokratie und Sozialstaat vertragen. Schwere Vorwürfe erhob der Ökonom gegen die Sanierungspolitik der Hansestadt. Die Einschätzung, dass Bremen unverschuldet und durch strukturelle Bedingungen wie das Werftensterben in eine Haushaltsnotlage geraten sei und Bundesmittel bekommen müsse, sei Anfang der 90er Jahre richtig gewesen. Schon bald hatte er aber den Eindruck, dass "Bremen niemals wirklich saniert werden sollte". Inzwischen sei es eine Pilotregion in Europa für den neoliberalen Umbau. "Es gibt eine Umverteilung von Einkommen, Vermögen und Macht von unten nach oben", kritisierte Elsner. Im Jahr 2005 sei mehr Geld für Zinszahlungen als für Soziales ausgegeben worden.Dass sich die negativen Folgen einer neoliberalen Wirtschaftspolitik alltäglich in Bremen wiederfinden, meinte auch Adelheid Biesecker, ebenfalls Ökonomin an der Uni Bremen. Wenn die hiesigen Angebote der Volkshochschulen tatsächlich, wie jüngst berichtet, drastisch gekürzt werden oder die VHS gar schließen müsse, werde die berufliche Qualifizierung privatisiert. "Es entsteht ein Markt für Weiterbildung", sagte Biesecker. Für die Professorin ein Beispiel dafür, dass Politik Märkte macht. Neben aller Kritik an einer staatlich unregulierten Marktentfaltung appellierte Biesecker aber an die Macht des Verbrauchers. "Wir sind nicht nur Opfer", sagte sie mit Hinblick auf die Angebote zum Beispiel von Billigmilch in Lebensmitteldiscountern. Jeder, der solche Produkte kaufe, müsse wissen, dass die Bauern von dem, was für sie übrig bleibe, nicht leben könnten.Das Thema Hartz IV griff schließlich Pedram Shahyar, Mitglied von Attac, auf. Als zentrales Symbol des Neoliberalismus stehe die letzte Stufe der Arbeitsmarktreform für "Verarmung, Enteignung und Entrechtung". Auch Menschen aus der Mittelklasse könnten "inzwischen ganz nach unten durchgereicht werden", kritisierte Shahyar. Es habe sich in den Köpfen festgesetzt, dass Globalisierung immer mit verschärftem Wettbewerb und einem Mangel an allem verbunden werde. "Gegen dieses Bild müssen wir ankämpfen." Shahyar ist überzeugt, dass es nur auf eine vernünftige Verteilung der Mittel und Güter ankomme.